GRENZEN

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Grenzen

Ich dachte, dass bedingungslose Liebe alles heilt. Ich glaubte, wenn ich meinen Partner nur wirklich liebe und akzeptiere, wird er das eines Tages erkennen und aufhören, mich für seine unangenehmen Gefühle verantwortlich zu machen. Ich dachte, dass er irgend wann aus seinem bösen Traum aufwacht und versteht, dass ich nicht sein Feind bin.

Ich dachte, dass ich mich über sein manipulierendes Verhalten, seine verbalen Übergriffe, seine Lieblosigkeit und seinen gegen mich gerichteten Ärger erheben könne. Ich habe geglaubt, dass ich mit dem unsagbaren Schmerz, den all dies in mir aufstiegen ließ, umgehen könnte, indem ich sein Verhalten ignoriere.

Ich dachte, dass ich zu viel von der Partnerschaft erwarten würde und dass ich mir selbst genügen müsse, um glücklich in der Beziehung zu sein. Ich dachte, dass es nur einen braucht, um glücklich zu sein.

Ich dachte, ich sei stärker als all der Hass, die Abhängigkeiten, die Verwirrung, die verdeckte und offene Feindseligkeit.

Ich dachte, dass wenn ich liebevoller und klarer kommuniziere, sich die Beziehung verbessern würde. Ich dachte, dass wenn ich mich öffne und verletzlich zeige, dass mein Partner sich sicher fühlen könne, dies auch zu tun.

Ich dachte, dass wenn ich nur positiv genug bin, mein stressvolles Denken transformiere, sich alles zum Besseren wendet und ich meinen Partner besser verstehen würde. Ich dachte, dass ich mit dem Schweigen, den Bestrafungen und dem zornigen Sex mit der Zeit anders umgehen könne, wenn ich all das in mir selbst erlöse. Dabei habe ich mich selbst verloren. Ich habe mich mir selbst gegenüber lieblos verhalten, weil ich nicht deutlich und klar gemacht habe, dass ich dieses Verhalten nicht mehr akzeptiere.

Tatsächlich wurde die Feindseligkeit immer größer, das Schweigen unerträglicher und die Angriffe öffentlich. Immer öfter fehlten mir die Worte und die Sprachlosigkeit breitete sich in mir wie ein Schimmelpilz aus.

Die Wahrheit ist, dass Liebe alles heilt. Allerdings nicht unbedingt in dieser Zeit, diesem Raum und dieser Realität.

Die Wahrheit ist, dass mein Partner und ich uns in zwei vollkommen unterschiedlichen Realitäten befanden. So schockierend diese Erkenntnis in gewissem Sinne auch für mich war, so sehr befreite sie mich auch. Seine Realität ist eine Welt, in der es darum geht, Macht über andere Menschen und Situationen zu haben, um ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle zu haben. Eine feindliche Welt in des es darum geht, das kostbare Selbstbild zu verteidigen, koste es was es wolle. Eine Welt, in der einer gewinnt und dementsprechend der andere verliert. Eine Welt, in der es um Schuld und Bestrafung, um Mangel und Schwäche geht.

Es gab nichts, was ich tun, sein lassen oder verstehen konnte, das irgend etwas auf der physischen und sichtbaren Ebene geändert hätte. Ich hatte die ganze Zeit über versucht, dass Verhalten meines Partners in Einklang mit der Wahrnehmung meiner Welt zu bringen. Aber diese beiden Welten sind nicht in Einklang zu bringen. Sie sind diametral entgegen gesetzt.

Jeder Versuch von mir, Unterschiede und Unstimmigkeiten zu versöhnen mussten scheitern. Gemeinsames Verständnis, Intimität und wirkliche Nähe mussten abgelehnt werden, weil sie eine zu große Bedrohung für die Welt und das Selbstbild meines Partners darstellten. In meiner Welt kam mir gar nicht in den Sinn, dass wirkliche Liebe eine solche Bedrohung darstellen könnte. In seiner Realität wurde jede Erklärung als eine Verteidigung wahrgenommen und entsprechend mit einem noch intensiveren Angriff gekontert.

Ich war in meinem Denken über Partnerschaft so konditioniert, dass ich noch oft an Ursache und Wirkung glaubte. Wenn mein Partner mich wütend anbrüllte, dann musste ich etwas getan haben, was die Ursache dafür war. Ich verwechselte sein Verhalten mit seinem wirklichen Selbst, das Liebe ist. Doch indem ich die Welt meines Partners als das erkannte, was sie wirklich ist, eine Welt, die nichts mit mir zu tun hatte, sein ganz persönlicher Albtraum, konnte ich mich endlich vollkommen zu meiner Welt und zu dem bekennen, was ich in meinem Leben und in einer Beziehung will.

Es gibt einfach keine Rechtfertigung dafür, angebrüllt, angeschwiegen, runter gemacht, beleidigt oder für alles Negative verantwortlich gemacht zu werden. Missbräuchliche Handlungen und Kommunikation sind irrational. Es gibt grundlegende Rechte in einer gesunden Beziehung.

Ich habe ein Recht auf gegenseitigen guten Willen.

Ich habe ein Recht auf emotionale Unterstützung.

Ich habe ein Recht darauf, nicht ständig kritisiert und verurteilt zu werden.

Ich habe ein Recht darauf, dass mein Partner und ich offen darüber sprechen, was wir brauchen und wollen.

Ich habe ein Recht, frei von ärgerlichen Ausbrüchen zu leben.

Ich habe ein Recht, nicht entwertet zu werden.

Ich habe ein Recht, dass meine Erfahrungen und Gefühle als echt angesehen werden.

Ich habe ein Recht, respektvoll gefragt zu werden, anstatt Anordnungen zu erhalten.

All das gebe ich mir nun selbst. Ich zeige mir meinen guten Willen, indem ich gut für mich sorge und darauf achte, was ich brauche, um zum Wohle aller in dieser Welt zu sein. Ich gebe mir selbst emotionale Unterstützung, indem ich jeglichen Gefühlen einen Raum gebe, da sein zu dürfen. Ich achte darauf, wohlwollend über mich selbst zu denken und meinen Wert anzuerkennen, indem ich niemandem mehr erlaube, meine innere Welt zu definieren. Ich meditiere jeden Tag, bevor ich aufstehe, verbinde mich mit meinem göttlichen Selbst und höre auf die leise innere Stimme, die mich zu Glück und Frieden führt. Ich kümmere mich liebevoll um meinen Körper, bewege ihn reichlich, mache Yoga und ruhe mich aus. Wenn ich ärgerlich werde, mache ich mir bewusst, wie schlecht sich das anfühlt und kläre in meinem Geist die Ursache für meinen Ärger, weil es sich besser anfühlt, wenn ich glücklich bin. Ich bin mir die meiste Zeit bewusst, wie ich mich fühle. Wenn ich einen Gedanken über mich denke, der nicht in Einklang mit dem ist, wer ich wirklich bin, zeigt sich das in einer Form von Unebenheit in meiner Wahrnehmung. Es fühlt sich wie ein kleines Schlagloch auf meiner Straße zum Glück an. Ich richte meine Aufmerksamkeit dann wieder auf die Liebe. Ich nehme meine Erfahrungen und Gefühle ernst, indem ich meiner Intuition folge. Ich achte auf innere Impulse und folge ihnen umgehend.

Ich will mich in einer Beziehung sicher und respektiert fühlen. Zuerst muss ich mir selbst den notwendigen Respekt entgegen bringen, was ein Gefühl der Sicherheit in mir etabliert. Ich muss missbräuchliches Verhalten nicht akzeptieren. Allerdings ist es notwendig, dass ich meine missbräuchlichen Gedanken und Glaubenssätze überprüfe, die mich in eine solche Situation gebracht haben. Ich muss mich zuerst selbst verstehen, meine Überzeugungen und Bedürfnisse erkennen, damit ich eine gesunde und liebevolle Beziehung mit mir selbst habe. Ich muss wissen, was ich will und entsprechend selbstbewusst Grenzen setzen.

Ich muss das missbräuchliche Verhalten meines Partners nicht mehr zu akzeptieren. Ich kann ihn weiterhin lieben, muss aber nicht mehr mit ihm leben. Ich vertraue auf meine Gefühle und meine Wahrnehmung. Ich vergebe mir meine schmerzhaften Erfahrungen, alle Urteile und Bewertungen anderen und mir selbst gegenüber und öffne somit mehr und mehr die Kanäle für ein glückliches und erfülltes Leben. Ich gebe mir selbst den Raum, mit allen Gefühlen die auftauchen vollkommen präsent zu sein.

Ich habe meine Sprache wieder gefunden. Sie ist klar, liebevoll, befreiend, allumfassend, sie setzt Grenzen, sie weiß, was sie will und handelt dementsprechend.