Mir macht der graue Himmel zu schaffen. Ich wünschte, die Sonne würde endlich wieder scheinen. Und den Horizont kann ich gerade auch nicht sehen. Ich fühle mich wie chinesisches Porzellan in einem Zimmer, in dem Kinder mit einem Ball spielen, während ich gedankenverloren in meinem kleinen Gartenzimmer sitze und beobachte, wie der Wind den Bambus bewegt. Unausgegorenheit überwuchert wie eine Zaunwinde meinen inneren Frieden. Ich komme mir vor, wie ein ziemlicher Schwächling. Wie kann es nur zu einer solchen Diskrepanz in mir kommen, die die Welt so liebt, wenn sie ihre Arbeit tut und sich selbst nicht mag an diesem Montagmorgen?
Schreiben bringt mich dazu, wieder aus mir herauszufinden, wenn ich zu tief in mir gefangen bin.
Ich denke an den gestrigen Abend, an ‚Die Runde Ecke‘, an der ich teilgenommen habe. Die Runde Ecke ist ein Projekt, welches das wahre Leben auf die Bühne holt. Menschen sprechen von bewegenden Momenten in ihrem Leben. In mir klingen all die Geschichten nach, die die Menschen so vertrauensvoll mit allen Anwesenden geteilt haben. Mir fällt dazu Folgendes aus „Ein Kurs in Wundern“ ein. „Die Suche nach der Wahrheit ist nur das ehrliche Ausfindig machen all dessen, was die Wahrheit beeinträchtigt. Die Wahrheit ist. Sie kann weder verloren gehen noch gesucht oder gefunden werden. Sie ist dort, wo immer du auch bist, da sie in dir ist.“
Kommunikation beendet Trennung. Wir sind Teil von allem, was existiert. Das hilft mir zu verstehen, dass nicht wir erzählen, sondern dass wir das Kommunikationsmittel sind, durch das alles, was ist, zu Wort kommt. Die Geschichte sucht sich uns Menschen zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort, um erzählt zu werden. Sie will die Wahrheit teilen. Sie offenbart uns, dass Kommunikation heißt, sich zu verbinden. Indem ich vollkommen präsent zuhöre, verbinde ich mich mit den anderen in ihren bewegenden Momenten, ihrem Zittern, dem Brechen der Stimme, dem klingenden Lachen, dem Zorn über Ungerechtigkeiten, der Unsicherheit, der Verletzlichkeit und schließlich dem Licht, welches hell scheinend über jegliche Dunkelheit am Ende hinausscheint und jeden berührt. Ich begegne mir selbst in diesen Momenten. Mir wird bewusst, dass jede Begegnung heilig ist. So, wie ich den anderen sehe, sehe ich mich selbst.
Und so begegne ich meiner Nächstenliebe in London und erkenne, dass alle Menschen gleich sind. Ich bin der Held, der im Krieg unter Einsatz seines eigenen Lebens das Leben eines fremden Menschen rettet. Ich bin die Schwester, die die wahre Bedeutung von bedingungsloser Liebe erfährt und beginnt, sich selbst zu lieben. Ich bin die Frau, die so verzweifelt ist, dass sie sich von der Brücke stürzen will und ihre Niederlage in ihr wahres Glück verwandelt. Ich bin das kleine Mädchen, das den Tod der Mutter nicht verwindet, sich verliert und durch Gnade wiederfindet. Ich bin der visionäre Bäcker, der seinen Frieden darin findet, seiner Frau eine ehrliche Antwort mitten in der Nacht zu geben, und seitdem glücklich und erfolgreich kleine Brötchen bäckt. Ich begegne der Frau, die ihre wahre Berufung darin findet, Pferde mit Liebe zu berühren und zu heilen. Ich treffe einen kleinen Flüchtlingsjungen in einem Flüchtlingslager fernab meiner Heimat, der mein Leben für immer verändern wird. Ich finde die Würze des Lebens, indem ich einfach nur in der Gegenwart von Kindern präsent bin, egal, ob sie gerade gut oder schlecht drauf sind. Ich lasse mich zu weit auf den See hinaustreiben und finde durch Fügung wieder dorthin zurück, wo ich hergekommen bin. Ich lasse mein sicheres Leben hinter mir und begegne meinen Ängsten, indem ich die Kontrolle abgebe und erlebe, dass das Universum immer für mich sorgt, egal, wo ich gerade in der Welt bin.
Wir brauchen Geschichten, weil sie uns dabei helfen, uns zu erinnern, wo und was wir in Wahrheit sind. Wir erwarten nicht zu viel vom Leben, sondern zu wenig. Wir sollten uns nicht mit Kleinheit zufrieden geben, sondern stattdessen unsere wahre Größe leben. Vielleicht erreicht dann das Licht, welches von uns in die Welt hinausstrahlt, einen anderen Menschen, der sich gerade in Dunkelheit befindet und sich durch unser Licht erinnert, dass es einen anderen Weg gibt.